Xploit:s
von Arbeit, Entfremdung und Respekt
von Christiane Mudra
URAUFFÜHRUNG22. November 2024, 19.30 Uhr |
„Ich weiß nicht, was ist, wenn ich in Deutschland einen Unfall habe. Aber ich bin ja hier, um zu arbeiten, nicht um krank zu werden.“
Im reichen Deutschland sind Schwarzarbeit, die Unterschreitung des Mindestlohns oder Lohnraub in vielen Berufsfeldern gängige Praxis.
Das Arbeitsrecht wird vielfach mittels intransparenter Subunternehmerketten, Werkverträge und sogenannter „Entsendungen“ ausgehebelt.
Der Unterbietungswettbewerb wird oft auf den Rücken vulnerabler Arbeitskräfte ausgetragen, Arbeit in eine kolonial anmutende Strategie verwandelt, durch die überwiegend ausländische oder migrantische Arbeitnehmer*innen ausgebeutet werden.
Regisseurin und Autorin Christiane Mudra nimmt in ihrer neuen Produktion „XPLOIT:S“ den Niedriglohnsektor des deutschen Arbeitsmarkts ins Visier.
Regisseurin und Autorin Christiane Mudra nimmt in ihrer nuen Produktion „XPLOIT:S“ den Niedriglohnsektor des deutschen Arbeitsmarkts ins Visier.Im Zentrum stehen Beschäftigte in den Bereichen Reinigung, Essenslieferung und Seniorenbetreuung. Jene Dienstleister*innen also, die den Kund*innen alltäglich das Leben erleichtern, ungeliebte Aufgaben abnehmen, ihnen Freizeit, Komfort, ‚Me-Time‘ verschaffen.
Während einer intensiven Langzeitrecherche hat Christiane Mudra zahlreiche Interviews mit den Beschäftigten selbst, aber auch Hintergrundgespräche mit Beratungsstellen, Gewerkschaftsvertreter*innen und Jurist*innen geführt sowie aus O-Tönen und Hintergrundinformationen eine Textfassung montiert.
„Ausbeutung ist die Basis unserer Wohlstandsgesellschaft.“
Woran bemisst eine Gesellschaft das Ansehen von Berufen? Warum erfahren Dienstleister*innen in diesen unverzichtbaren Berufsfeldern so wenig Wertschätzung?
Wie bewerten die Arbeiter*innen selbst ihre Arbeits- und Lebensbedingungen?
Was denkt der Lieferant, der bei Minusgraden vor dem Restaurant auf die Bestellung warten muss? Wie fühlt sich die Reinigungskraft, die unter Mindestlohn verdreckte Hotelzimmer im Akkord putzt?
Welche Abhängigkeit verursacht die Koppelung der Arbeitsstelle an Unterkunft und Aufenthaltserlaubnis, wie dies etwa bei den sogenannten „Live-Ins“ der Fall ist?
Und wo beginnt Menschenhandel zum Zwecke der Arbeitsausbeutung?
Angesichts zunehmend verwaister Innenstädte durch den Onlinehandel und die Immobilienpleite der Signa-Gruppe um den Finanzjongleur René Benko führt „XPLOIT:S“ das Publikum hinter die Kulissen von Glitzervitrinen und Konsumversprechen ins Untergeschoss des ehemaligen Kaufhofs am Stachus. Vier Performer*innen zeigen die Realitäten, die im Alltag kaum jemand sehen will.
Der Abend lässt jene zu Wort kommen, die gleichsam unter dem Radar, nachts und im Verborgenen arbeiten, bei Kontrollen verschwinden, nach Unfällen weggeschafft und im Alltag ignoriert werden.
Der Abend rückt die Perspektive der Arbeiter*innen in den Fokus, zeigt strukturelle Probleme auf und benennt Schutzlücken.
„Das ist eine Reinigungskraft, die einen knüppelharten Job hat, schlecht bezahlt wird und die Fäkalien deiner Kollegen wegmacht. Da erwarte ich Respekt.“
In einer Zeit, in der Migrant*innen zunehmend und parteiübergreifend als soziale Belastung diffamiert werden, erinnert der Abend auch daran, dass ausländische Arbeitskräfte maßgeblich daran beteiligt sind, den deutschen Wohlstand zu schaffen und zu sichern: Von den „Gastarbeiter*innen“ der 60er Jahre über die ausländischen oder migrantischen Arbeitnehmer*innen heute und angesichts des demographischen Wandels in noch viel höherem Maße perspektivisch.
„XPLOIT:S“ klärt über die genannten Arbeitsumstände auf und macht die Menschen hinter der Dienstleistung sichtbar, um zu Empathie, Wertschätzung und einem solidarischen Miteinander beizutragen.
Nach „SELFIE & ICH“ (2022), einem Abend über psychische Erkrankungen, Leistungsgesellschaft und Glücksterror und „HOTEL UTOPIA“ (2023), einem interaktiven Gesellschaftsspiel über Grenzen, Bürokratie und den Wert von Pässen ist „XPLOIT:S“ der dritte Teil von Christiane Mudras Trilogie mit dem Titel „How much am I?“, in der sie sich mit der die sich mit der De-Facto-Bewertung von Menschen in der "Wertegemeinschaft" auseinandersetzt.
Credits
Konzept, Recherche, Text und Regie:
Christiane Mudra
Mit Ivona Baković, Sebastian Gerasch, Kathrin Knöpfle und Edith Konrath
im Video: Daniela Gancheva, Lea Geszti, Gabriele Graf, Melda Hazırcı, Waki Meier, Murali Perumal
Bühne: Julia Kopa
Kostüm: Sarah Silbermann
Licht Design und Technische Leitung: Peer Quednau
Mitarbeit Recherche: Agata Kaplon-Marx
Video Design: Yavuz Narin
Produktion: ehrliche arbeit – freies Kulturbüro
Produktion und Abendtechnik: Uli Zentner
Regieassistenz: Luca Lehnert
Grafik: Jara López Ballonga
Fotos: Verena Kathrein
PR: Simone Lutz
Social Media: Casey Tower
Eine Produktion von
Christiane Mudra / investigatives Theater
gefördert durch die Optionsförderung der Landeshauptstadt München.