Der Schlüssel

Zufall? Verschwörung? Mashup?

von Christiane Mudra

Uraufführung am 06. November 2021
Wiederaufnahme 12.-15. September 2022



Drei Grundannahmen sind „konstitutiv für Verschwörungstheorien: 1.) Nichts geschieht durch Zufall. 2.) Nichts ist, wie es scheint. 3.) Alles ist miteinander verbunden.“ Michael Butter

Im Zuge der Pandemie haben Covid-Leugner*innen Verschwörungserzählungen verstärkt ins öffentliche Bewusstsein gerückt und eine neue Welle von Desinformation losgetreten. Inhaltlich verschmelzen hier uralte Motive, die fast ausnahmslos antisemitische Wurzeln aufweisen, während bei Demonstrationen regelmäßig die Schoah relativiert wird. Anfragen bei Sektenberatungsstellen haben sich im Jahr 2020 versechsfacht.

„Der Schlüssel“ untersucht Geschichte und Wirkweisen von Verschwörungserzählungen, insbesondere ihre antisemitischen Elemente.
In einem Spielsetting, das theatrale Stilmittel, religiöse Inszenierungen und digitale Propaganda beleuchtet, loten die Teilnehmer*innen den Grad der eigenen Empfänglichkeit sowie die Grenze zwischen Meinungen und Tatsachen aus. „Der Schlüssel“ ist ein interaktives demagogisches Spiel. Die Zuschauer*innen sind die „Basis“ einer Bewegung und damit Spieler*innen des Abends. Sie kommunizieren mittels einer Abstimmungssoftware mit den Schauspielern und steuern als „Schwarmintelligenz“ Meinungen und Stimmungsbilder bei.

Kontext

Auffällig ist, wie schnell sich subjektiv empfundener Kontrollverlust und die Sorge vor wirtschaftlichem Abstieg in der Suche nach Feindbildern und einer höheren Logik entladen. Die Leipziger Autoritarismus-Studie zeigte schon 2018, dass 32% der deutschen Bevölkerung verschwörungsideologischen Aussagen zustimmt. Laut der Mitte-Studie von 2019 denkt mehr als die Hälfte der Befragten, dass sie ihrem Gefühl eher trauen sollte als Expert*innen. 

Die Sehnsucht nach Identität und Identifikation will in einer zunehmend säkularen, globalisierten Welt durch neue Substitute gestillt werden. Ordnende Strukturen wie Religion, Familie und traditionelle Privilegien werden in einer liberalen Gesellschaft neu definiert oder bedeutungslos. Mit der sozialen Vereinzelung und der Unübersichtlichkeit einer globalisierten Welt wächst das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, Struktur und Erklärungen. Gleichzeitig befeuert die vernetzte Gesellschaft den Wunsch nach narzisstischer Selbsterhöhung, wie sie z.B. das vermeintlich exklusive Wissen über eine Verschwörung verspricht. Doch wann und wie wird Verschwörungsglaube zur Gefahr?

Die Suche nach Sündenböcken ist ein uraltes Phänomen. Ein beliebiger Ausnahmezustand führt zu einer Schuldverschiebung, zu einer paranoiden Selbstinszenierung als Opfer und schlimmstenfalls, wie etwa die antisemitische Verschwörungsideologie der Nationalsozialisten, zu Gewalt, die als Notwehr deklariert wird. Einer ähnlichen Argumentation folgen verschwörungsgläubige Gewalttäter wie die Attentäter von Halle und Hanau oder der Mörder von Idar-Oberstein, die sich als Opfer einer übermächtigen „Elite“ definieren.

Digitale Plattformen dienen als Katalysator einer solchen Radikalisierung. Social-Media-Gruppen fungieren als Echokammern. Googles Autovervollständigungsfunktion zeigt bei einschlägigen Suchanfragen immer wieder Unwahrheiten als erste Treffer an. YouTube-Kanäle, die in seriöser Aufmachung mit Falschdarstellungen und Hetze polarisieren, verzeichnen Klickzahlen in Millionenhöhe und werden bevorzugt empfohlen, um die sogenannte „Watch Time“ der User*innen zu maximieren. 


Alles ist verbunden

Vor diesem Hintergrund wirft „der Schlüssel“ ein Schlaglicht auf unterschiedliche Verschwörungserzählungen und ihre historischen Wurzeln. Der Theaterabend entlarvt diese Mythen als transformative Neuinterpretation, als Mashup uralter Motive, und verdeutlicht so die Wirkung auf aktuelle Entwicklungen. Auch die Anschlussfähigkeit von antisemitischem Gedankengut in alternativen und bildungsbürgerlichen Kreisen wird beleuchtet.

Vor allem aber tastet „Der Schlüssel“ durch seine spielerische Versuchsanordnung die Empfänglichkeit aller Teilnehmer*innen für Verschwörungserzählungen ab und regt an, über die Ursachen zu reflektieren. Auf diese Weise will „Der Schlüssel“ der Vermengung von Meinungen und Tatsachen (Hannah Arendt), der Verbreitung von Halbwahrheiten sowie der zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft entgegenwirken und für eine respektvolle politische Debattenkultur eintreten.

Onlinepanel

Onlinepanel „Verschwörungsideologien und Antisemitismus“
am 13.11.2021 um 15 Uhr

Anmeldung: investigativetheater@gmail.com

Mit Micha Brumlik, Annika Brockschmidt und Niklas Vögeding
Moderation: Christiane Mudra

Die Panelist*innen diskutieren über Strukturen und Wirkweisen von Verschwörungsideologien, ihre antisemitischen Elemente und  den Umgang mit verschwörungsgläubigen Personen.

Prof. Dr. Micha Brumlik war Professor am Institut für allgemeine Erziehungswissenschaft der Universität Frankfurt und Direktor des Fritz Bauer Instituts, Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte und Wirkung des Holocaust. Seit 2013 ist er Senior Advisor am Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin/Brandenburg in Berlin. Er hat zahlreiche Sachbücher veröffentlicht und schreibt als Gastautor für verschiedene Zeitungen.

Annika Brockschmidt hat Geschichte, Germanistik und War and Conflict Studies in Heidelberg, Durham und Potsdam studiert. Sie ist freie Journalistin, Autorin und Podcastproduzentin. Ihr Buch "Amerikas Gotteskrieger" steht aktuell auf der Spiegel Bestsellerliste. 

Niklas Vögeding hat Soziologie und Gesellschaftstheorie studiert, arbeitet in der Rechtsextremismusprävention und ist darüber hinaus in der Beratungsstelle Veritas für Opfer und Betroffene von Verschwörungserzählungen tätig. https://cultures-interactive.de/de/veritas.html


Murali Perumal, Stefan Lehnen und Sebastian Gerasch. Foto: Verena Kathrein 


Presse


Das, was Mudra zusammengetragen hat, ist wohl noch umfangreicher als das Material des kürzlich ausgestrahlten ARD-Politmagazins "Kontraste". Und gleichgültig, in wie vielen unterschiedlichen Formaten - als Film, als die Worte einer Künstlichen Intelligenz, als Schlüsselanhänger-Parolen - sie dieses auf der Bühne präsentiert: Die Dichte ist enorm hoch (...) Der Abend ist wichtig, das sieht man immer wieder, wenn man auf die Abstimmungsergebnisse blickt. Denn auch da zweifelt man oft an dem zu selbstverständlichen Glauben: "Wir sind doch die Guten!".

Das neue Projekt von Christiane Mudra bringt Kommunikationselektronik und Live-Darbietung zusammen. (...) Die sehr kluge und beeindruckend umfangreich recherchierte Arbeit lässt in allen Mustern, die sich während der Corona-Pandemie mit ihren Virusskeptikern und Impfverweigerern besonders deutlich abzeichneten, einen guten alten Bekannten erkennen: Den Antisemitismus.

Mathias Hejny, Abendzeitung, 9. November 2021

In einem „Mash-up“, einer wilden Mischung verschiedener Verschwörungstheorien, die deren Parallelstrukturen entlarvt, wird das Publikum live und via Video torpediert mit Fakten zum Antisemitismus eines Rudolf Steiner über die Macht der digitalen Medien (...) Können wir in dieser Flut überhaupt noch klar unser eigenes Profil abgrenzen? Ein spannender Theaterabend, der nachdenklich stimmt, belehrt, aber auch verwirrt. Zufall? Das Bilden einer eigenen Meinung ist auch hier ausdrücklich erwünscht.

Melanie Brandl, Münchner Merkur, 8. November 2021

Credits

Konzept, Recherche, Text und Regie: Christiane Mudra

Mit: Sebastian Gerasch, Stefan Lehnen und Murali Perumal

Kostüm: Sarah Silbermann
CGI/VFX: Yavuz Narin
Licht Design und Technische Leitung: Peer Quednau
Realisierung Bühne: Manuela Müller
Regieassistenz: Carolin Pfänder
Grafik: Jara López Ballonga
Produktion: ehrliche arbeit- freies Kulturbüro
PR: Kathrin Schäfer KulturPR
Fotos: Verena Kathrein