Hotel Utopia
Ein interaktives Gesellschaftsspiel
über Grenzen, Bürokratie und den Wert von Pässen
von Christiane Mudra

URAUFFÜHRUNG6. November 2023, |
Der "Asylkompromiss" an den EU-Außengrenzen ist die größte Verschärfung des Asylrechts seit 30 Jahren und veranschaulicht abermals die "Sortiermaschinen" vor der "Festung Europa". Seit Beginn des Krieges in der Ukraine ist eine Debatte um die Ungleichbehandlung von Geflüchteten in Deutschland entbrannt, auch in Hinblick auf Drittstaatler*innen aus der Ukraine. Zudem sind die von diversen Oligarch*innen käuflich erworbenen EU-Staatsangehörigkeiten, die “goldenen Pässe”, erneut in den Fokus gerückt,
Ein in Deutschland geborenes Kind staatenloser Eltern hingegen ist auch heute staatenlos.
In „Hotel Utopia“ laden die Regisseurin Christiane Mudra und das Ensemble die Teilnehmer*innen zum Perspektivwechsel ein. Ausgestattet mit Pässen unterschiedlicher Staaten und auf echten Biographien basierenden Daten begeben sich die Zuschauer*innen in einem kafkaesken Transitraum auf die Suche nach Anerkennung in einem neuen Land und begegnen den Herausforderungen der deutschen Willkommenskultur.
Erfahrungsberichte von Geflüchteten und Migrant*innen sowie Hintergrundgespräche mit Expert*innen sind ebenso in den Abend verwoben wie Informationen zu dysfunktionalen Abläufen, überlasteten Sachbearbeiter*innen, Willkür in Aufnahmeprogrammen und Smart Borders.Der Abend behandelt Staatenlosigkeit und Mehrstaatigkeit, Intransparenz, strukturellen Reformbedarf sowie die Auswirkungen fragwürdiger "Rücknahmedeals", nicht sanktionierter Push-Backs an den EU-Grenzen und tief verankerter kolonialer Muster.
Zugrunde gelegt wird die Fiktion der Nichteinreise.
Auf ihrer individuellen Reise durch Wartebereiche und Amtsstuben werden die Teilnehmer*innen mit unverständlichen Regelungen, Kontrollen, Ungewissheit und Ohnmacht konfrontiert. Sie begegnen wahren Geschichten von Flucht und Migration, Vorurteilen und Willkür und erleben individuelle (Un-)Freiheit je nach Staatsangehörigkeit, weltpolitischer Lage oder Ranking im "Pass-Index".
Nach SELFIE & ICH, einem Abend über psychische Erkrankungen, Leistungsgesellschaft und Glücksterror in Haidhauser Privatwohnungen ist "Hotel Utopia" der zweite Teil einer Trilogie, die sich mit der De-Facto-Bewertung von Menschen in der "Wertegemeinschaft" auseinandersetzt.
Das Versagen bei der Evakuierung afghanischer Ortskräfte und Menschenrechtsaktivist*innen im Sommer 2021 hat den Wert eines Reisepasses, der im Extremfall über Leben und Tod eines Menschen bestimmen kann, ebenso verdeutlicht wie die illegalen Push-Backs an den europäischen Außengrenzen, die sich z.B. durch das Vorgehen der griechischen Küstenwache und Frontex im Mittelmeer zugespitzt haben.
Auch in Deutschland lebende Menschen, die keinen deutschen Pass besitzen, sind regelmäßig mit widersprüchlichen Verfahren konfrontiert. So droht zum Beispiel vielen in Deutschland geborenen Menschen mit türkischem Pass der Verlust des Aufenthaltstitels, wenn sie Deutschland für mehr als sechs Monate verlassen.
Im Falle des unschuldig in Guantanamo internierten Bremers Murat Kurnaz etwa wurde diesem trotz eines entsprechenden Angebots der US-Regierung die Einreise nach Deutschland verweigert, so dass dieser insgesamt über fünf Jahre im Internierungslager Guantanamo Bay verbringen musste. Die Argumentation der Bundesregierung lautete, Kurnaz habe es versäumt, rechtzeitig den notwendigen Antrag zu stellen.
Im Jahr 2023 haben Inhaber*innen eines deutschen Passes nach Japan, Singapur und Südkorea die weitreichendste Reisefreiheit. Deutsche Staatsbürger*innen können visafrei in 190 Länder reisen. Währenddessen wird die Differenz zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden immer größer. Staatsbürger*innen von Angola, Kamerun und Laos dürfen etwa 50 Länder visafrei bereisen. Inhaber*innen eines syrischen, irakischen oder afghanischen Passes sind mit 27 bis 30 visafreien Einreisemöglichkeiten Schlusslichter des Pass-Indexes.
Angesichts des Klimawandels, der ungleichen Verteilung von wirtschaftlichen Ressourcen und der Vielzahl bewaffneter Konflikte ist mit einer starken Zunahme der weltweiten Migration in den nächsten Jahrzehnten zu rechnen.
Vor diesem Hintergrund wird HOTEL UTOPIA den Wert von Pässen und damit letztendlich von Menschen unterschiedlicher Nationalitäten in der "Wertegemeinschaft EU", insbesondere in Deutschland, untersuchen.
Credits
Konzept, Recherche, Text und Regie:
Christiane Mudra
Mit
Meriam Abbas
Sebastian Gerasch
Gabriele Graf
Melda Hazırcı
Ariella Hirshfeld
Waki Meier
Richard Manualpillai
System-Architektur und Game Design: Markus Schubert
Raum/Requisite: Julia Kopa
Kostüm/ Requisite: Sarah Silbermann
Lichtdesign und Technische Leitung: Peer Quednau
Produktionsleitung: ehrliche arbeit - freies Kulturbüro
Regieassistenz: Andre Alkapon
PR: Kathrin Schäfer Kultur PR
Social Media: Casey Tower
Mitarbeit Produktion: Ulrich Zentner
Grafik Flyer/Plakat: Yavuz Narin
Grafik Programmheft: Jara López Ballonga
Fotos: Verena Kathrein
Eine Produktion von Christiane Mudra / investigative theater
gefördert durch die Optionsförderung der Landeshauptstadt München.

Die Berlin-Premiere in Kooperation mit dem Ballhaus Ost wird gefördert aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds.

